© Fotocredit Knusperfarben – Tanja Deuß
C-AE: Hallo Melanie, im Februar 2019 hast du dich als Fotografin und kreative Dienstleisterin in der Kulturszene im Raum Düsseldorf/Köln selbständig gemacht. In dieser Zeit hast du viele Beiträge auf Facebook https://www.facebook.com/kunstinszene/ und Instagram https://www.instagram.com/kunstinszene/ eingestellt. Du bist dabei sehr engagiert und stellst gleichfalls als Künstlerin deine Arbeiten aus.
Veränderungen in der Kunstszene durch Corona
C-AE: Wie hat sich in einem Jahr unter Corona-Bedingungen dein Arbeitsfeld verändert?
MJ: Vor Corona war ich viel unterwegs: auf Vernissagen, Konzerten und Ausstellungen. Manchmal auf bis zu drei Veranstaltungen an einem Abend, es waren auch mal fünf an einem Wochenende.
Dort habe ich Fotos gemacht und Leute getroffen und Kontakte gepflegt. Das alles ist seit einem Jahr nicht mehr möglich. Vernissagen und Konzerte sind verboten und es gibt Kontaktbeschränkungen.
C-AE: Das sind natürlich gravierende Verschlechterungen für dich als selbständige Dienstleisterin.
Frage: Wie wirkt sich das konkret auf deine Arbeit als Kreative aus?
MJ: Der Kontakt zu anderen Künstlern, Musikern oder Mitgliedern der freien Künstlervereinigung Neanderart Group, in der ich Mitglied bin, findet vorwiegend virtuell und über das Telefon statt. Gelegentlich gibt es die Möglichkeit unter Einhaltung der Kontaktauflagen andere Künstler in Ihren Ateliers zu besuchen.
Aber die Möglichkeit, neue Kunden zu gewinnen ist gering, da diese überwiegend Künstler sind, die in diesen Zeiten oft an Dienstleistungen sparen müssen, da Einkünfte weggebrochen sind.
Berufliche Neuorientierung trotz staatlicher Corona-Hilfen notwendig
C-AE: Wo stehst du heute beruflich nach 1 Jahr Corona?
MJ: Mein Business befand sich noch im Aufbau und lief eigentlich sehr gut an. Corona hat alles zum Erliegen gebracht, da der Großteil meiner Kunden Künstler sind, die derzeit selbst darum kämpfen, irgendwie weitermachen zu können und keine Ressourcen haben, einen Dienstleister zu beauftragen.
Im Gegensatz zu einigen anderen hab ich den Vorteil, dass ich zuvor jahrelang im kaufmännischen Bereich gearbeitet und auch ausgebildet habe. Daher konnte ich in den vergangenen Monaten verstärkt als Dozentin und Jobcoach arbeiten. Dafür bin ich sehr dankbar.
Dennoch vermisse ich meine eigentliche Arbeit mit Kunst in Szene, denn ein Grund dafür, dass ich mich selbständig gemacht habe, war der Wunsch, mich zu jeder Zeit mit den Dingen zu beschäftigen, die ich liebe und damit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten: Fotografie, Kunst, Musik und Networking.
C-AE: Hattest du jemals überlegt, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen oder bestand diese Möglichkeit für dich nicht?
MJ: Da mit dem ersten Lockdown zunächst auch mein zweites Standbein und sozusagen mein Plan B als Dozentin in der Erwachsenenbildung weggebrochen war und ich keinerlei Einkünfte mehr hatte, habe ich Soforthilfe beantragt. Zu diesem Zeitpunkt hieß es noch, dass man damit auch seine Lebenshaltungskosten bestreiten darf. Dies wurde ja wenige Tage später still und leise geändert, so dass es mir wie sehr vielen Soloselbständigen erging und ich kaum etwas von dem Geld verwenden durfte. Stattdessen wurde ich ans Jobcenter verwiesen und musste zwischenzeitlich Grundsicherung beantragen.
Zum Glück wurden die Bildungseinrichtungen im Sommer wieder geöffnet und ich konnte peu a peu wieder als Dozentin arbeiten. Trotzdem hat das Vierteljahr ein empfindliches Loch in meine Taschen gerissen, da der Hartz IV Satz nicht ausreicht, um die laufenden Kosten zu decken, die man als Selbständiger hat (zum Beispiel Telefon- und Internetkosten, die bei mir als Social Media Beraterin natürlich auch höher sind als bei anderen).
Da ich ab Sommer wieder Einkünfte hatte, habe ich auf die Beantragung weiterer Hilfen verzichtet und bin auch sehr froh darüber. Gerade bei Soloselbständigen und Künstlern aus dem Veranstaltungsbereich war das letzte Jahr katastrophal, weil die meisten seit einem Jahr nicht arbeiten dürfen, gleichzeitig aber durch fast alle Raster gefallen sind. Falls sie Hilfen oder Grundsicherung beantragen konnten, haben sie monatelang warten müssen, sofern sie überhaupt etwas bekommen haben. Im Prinzip waren die Hilfen für die Soloselbständigen nur schöner Schein, der aber bei näherer Betrachtung schnell verblasste.
Einflüsse durch Corona auf die eigene Kreativität
C-AE: Haben für dich als Künstlerin die geänderten Rahmenbedingen die gleichen Auswirkungen?
MJ: Mehrere Ausstellungen, an denen ich selbst als Künstlerin teilgenommen hätte, sind ausgefallen und auch jetzt finden Ausstellungen zum Teil nur virtuell statt oder mit sehr eingeschränkter Besucherzahl.
Als die Pandemie ausbrach, stand ich erst seit einem Jahr auf eigenen Beinen und es lief alles sehr gut an, bis ich, wie wir alle, ausgebremst wurde. Die Ungewissheit und immer neue Lockdowns bremsen die Kreativiät und haben ein Arbeiten, wie ich es zuvor kannte, unmöglich gemacht.
Ich habe zum Glück in dieser Zeit viele Menschen kennengelernt, die wie ich der Meinung sind, dass uns nur Solidarität durch diese Krise bringt. Jetzt ist nicht die Zeit, nur an sich zu denken und hinter jeder Ecke den Profit zu suchen. Es ist wichtig, dass man zusammenhält und die Zeit nutzt, um Netzwerke aufzubauen, sich gegenseitig zu supporten und nach kreativen Lösungen zu suchen.
Kulturelle Optionen für eine Zukunft nach oder mit Corona
C-AE: Welche positiven Aspekte/Perspektiven nimmst du Stand jetzt mit in die Zukunft?
MJ: Ich setze mich aktiv dafür ein, dass der Wert von Kunst und Kultur auch während der schwierigen Zeit nicht in Vergessenheit gerät. Allzu oft wird von der Allgemeinheit vergessen, was alles dazu gehört und dass sich Kultur nicht einfach ab- und später wieder anschalten lässt, wenn man die Krise überstanden und wieder Lust darauf hat.
Dazu nutze ich derzeit auch meine Social Media Accounts von Kunst in Szene, indem ich regelmäßig Kunst/Musik/Shops von befreundeten Künstlern teile. Es ist wichtig, sich gegenseitig zu empfehlen, zu unterstützen, zu teilen und Netzwerke aufzubauen. Zusammen sind wir stark.
Denn wenn wir Kunst und Kultur jetzt keine Bedeutung beimessen, haben danach viele Museen und Galerien geschlossen und die Kreativität von Malern ist möglicherweise versiegt, weil sie stattdessen in Nachtschicht am Fließband arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt aufzubringen und die Miete zu bezahlen.
Unsere Lieblingsbands spielen keine Konzerte mehr und nehmen keine Alben mehr auf, weil sie in Umschulungen sind und ihr Equipment verkaufen mussten, um zu überleben. Die Lieblings-diskothek oder der bevorzugte Jazzclub hat für immer geschlossen und es gibt auch keine Ü30 Parties, Schlagerparties, Kirmes oder Schützenfeste mehr.
Und bis auf die Großverdiener des Business haben dann auch die DJs die Kopfhörer an den Nagel gehängt und Autoren schreiben keine Bücher mehr, weil sie nun im Supermarkt an der Kasse arbeiten.
Das alles wird vielen erst nachher bewusst werden, daher unterstütze ich Initiativen wie zum Beispiel ARTensterben, um der Verdrängung der Veranstaltungsbranche bzw. Kunst und Kultur in die Kategorie verzichtbares Freizeitvergnügen entgegenzuwirken.
Und ich freue mich auch weiterhin auf viele weitere spannende Kontakte aus dem Bereich. Nur gemeinsam kommen wir weiter!
C-AE: Melanie, vielen Dank für dieses offene Gespräch und dein Engagement für unsere künstlerische und kulturelle Zukunft!
Georg H. Schmidt
Corona-ArtExperience
Düsseldorf im März 2021